Sonntag, 3. März 2013

Genug aufgeschrien

Ich gebe zu: die #aufschrei-Debatte habe ich nur aus den Augenwinkeln verfolgt. Das Thema ist so alt wie die Menschheit und wer schon ein paar Jahre im Leben - insbesondere im Berufsleben - hinter sich gebracht hat, hat da schon mal das eine oder andere mitbekommen. Also habe ich am Rande das Geschehen mitverfolgt. Aber wenn ich angefangen habe, genauer zu lesen, habe ich mich aufgeregt, obwohl ich immer versucht habe, dies zu vermeiden.

Nun ist es aber doch passiert. Vor zwei Tagen habe ich einen erneuten Gastbeitrag von Anne Wizorek bei Stern.de gelesen. Im Zug sitzend dachte ich noch, jetzt kommt bestimmt ein wenig mehr Grund in die Sache. Also habe ich den ersten Abschnitt gelesen, dann aber doch wieder mein Gerät zur Seite gelegt, um Aufregung zu vermeiden. Denn: das ist ja so schrecklich ungesund.


Duck mob
Foto: jf 1234, CC BY-SA 2.0

Dann dacht ich aber doch: Komm, sei nicht ungerecht, lies es erstmal zu Ende. Ich las also diesen Artikel und fühle mich zunächst durch den oberlehrerhaften Ton wirklich genervt. Es klang für mich: Mein Gott, seid ihr denn alle zu BLÖD, um es zu sehen?! Ich habe es euch jetzt so oft und über alle Medien erklärt (BTW: Sibylle Berg benutzt diese Attitüde in ihrem aktuellen Post über Frau Kampusch ebenfalls wieder).

Trotzdem blieb ich tapfer und las weiter. Ich verstand: Teilnehmer der Debatte seien pauschal in vier Gruppen einzuteilen; eine Gruppe sei toll, alle anderen seien zu blöd. Auch George Clooney dürfe nicht sexuell übergriffig werden. Und überhaupt seien zwar auch Männer von Übergriffen betroffen, aber weil's eben die Masse mache, seien es am Ende doch nur die Frauen, die das ertragen, durchleiden und aushalten müssten. An diesem Punkt freue ich mich für Frau Wizorek, weil sie ein so schönes, klares Bild der Welt und der Gesellschaft hat und alles so eindeutig in Schwarz und Weiß aufgeteilt ist.

Gleichzeitig dachte ich mir: Da will jemand UNBEDINGT sich und - damit sie nicht so allein ist - 50% der Menschheit zu Opfern machen. Was bedeutet, dass die anderen 50 % per se potentielle Täter sind - huch, stimmt, das sagen Feministinnen ja gern mal. Bundespräsident Gauck hat sich gerade heute gegen diese pauschale Vorverurteilung ganzer Bevölkerungsteile in der Debatte ausgesprochen.

Jetzt folge ich aber mal der Argumentation und nehme an, der tägliche Sexismus (es gibt zwar winzige Unterschiede, die Andeutungen und tatsächliches Tun unterscheiden, aber wer will schon so genau sein) ist da, wird praktiziert und diese Massenerscheinung beeinträchtigt unser tägliches Leben. Und nun, möchte ich fragen. Und jetzt lerne ich das Entscheidende: DIE GESELLSCHAFT MUSS SICH ÄNDERN. Hätte ich ja auch gleich drauf kommen können.

Jetzt gebe ich es zu, falls es noch nicht im vorstehenden Textteil deutlich geworden ist: Ich bin genervt. Und zwar von diesen empörten, oberflächlichen und nicht zu Ende gedachten Texten, die weder ansatzweise über Ursachen noch wirklich über Lösungen nachdenkt, sondern nur anprangert, Äpfel mit Birnen vergleicht und alle Weisheit für sich pachtet.

Dabei war der Anfang ja gemacht. Frau Wizorek zieht das Beispiel Mobbing heran. Jeden Tag wird jemandem gesagt, er sei schlecht (übrigens keine Seltenheit in Deutschlands Arbeitswelt). Dann macht sie jedoch den Fehler, es als einhellig negativ geahndeten Umstand zu betrachten - und fragt auch hier nicht: warum?

Ich finde es sehr schlimm, wenn sich Menschen - in welcher Weise auch immer - von despektierlich über offen aggressiv, demoralisierend, diskriminierend, übergriffig bis hin zu tatsächlich und psychisch übergriffig und verletzend anderen Mitmenschen gegenüber verhalten. Sofern dieses Verhalten offensichtliche Auswirkungen hat, sind diese gesellschaftlich verpönt und in Form von Gesetzen und anderen Sanktionsmechanismen erfasst.

Alles andere ist Grauzone. Das ist beim Mobbing nicht anders als bei sexuellen Belästigungen. Eigentlich bin ich geneigt, die sexuellen Belästigungen auch als Unterform des Mobbings zu subsumieren. Denn worum geht es denn dabei? Ähnlich wie bei dem Beispiel von Frau Wizorek, in dem täglich einem Mitarbeiter gesagt wird, er sei schlecht, ist eine ständig wiederholte sexuelle Belästigung, die auf keine Gegenliebe stößt, einfach mehr.

Weder handelt es sich im Beispielsfall nur um die Mitteilung, man habe seine Arbeit nicht ordentlich gemacht. Noch handelt es sich bei den wiederkehrenden oder von immer derselben Person unternommenen sexuellen Belästigung darum, die Liebe des Lebens zu finden oder auch nur in jedem Fall einen One-Night -Stand zu realisieren. In beiden Fällen versucht der Ausführende, sich selbst zu bestätigen, indem er andere auf eine höchst persönliche Art und Weise angreift, aufgrund derer sich die "Zielperson" hilflos und schlecht fühlt.  Oft haben diese Personen eine vermindertes Selbstwertgefühl und sind eher narzisstische Persönlichkeiten - oder sie wollen so von ihrer Unfähigkeit ablenken. Und so gerne ich auch an den "besseren Menschen" an sich glauben möchte: Dass dies allein bei Frauen der Fall sein soll, habe ich nicht feststellen können. Auch Frauen bedienen sich genau dieser Spielchen. Eine besonders garstige Sorte hat  bereits einen eigenen Namen: Die Queen Bee.

Aber auch diese Erkenntnis allein hilft den Betroffenen nicht weiter. Die Erkenntnis, die Gesellschaft müsse sich ändern, klingt da eher nach einem frommen Wunsch. Ich wünsche mir auch das Ende des Hungers auf Erden und den Weltfrieden - realistisch betrachtet wird nichts davon absehbar eintreten. Deswegen darf man den Versuch nicht aufgeben. Aber reicht es, die Gesellschaft ändern zu wollen?

Ich meine nein. Es ist gut, negatives Verhalten zu benennen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, damit dieses Verhalten auch von einer großen Menge Menschen entsprechend abgestraft wird.

Bis die Gesellschaft sich ändert, muss jeder selbst mit einer schwierigen Situation umgehen. Dafür finde ich es wichtig herauszufinden, warum eine Person tut, was sie tut, um sich Strategien zu überlegen.

Und dabei hilft eine generelle "Opfersicht" in der Regel nie. 

Denn dann hat die ausführende Person bereits gewonnen. Sie hat ihre Macht erfolgreich demonstriert. Es ist wichtig, sich über diese Dinge auszutauschen und ein Bewusstsein dafür zu bekommen sowie Umgangsmöglichkeiten zu überlegen. Manchmal bedeutet das im Extremfall, den Job/die Wohnung u.ä. wechseln zu müssen. Das ist extrem - aber letztendlich geht es um das eigene Wohlbefinden. Häufiger noch kann man mit der Hilfe von dem konkreten Umfeld schon viel erreichen: Übergriffe - ob klassisches Mobbing oder sexuelle Belästigung - durch möglichst ständige Anwesenheit von KollegInnen bereits im Keim zu ersticken - oder so beweisbar zu machen. Ständiges Ignorieren des Verhaltens und ein Fokussieren auf die Inhalte. Wenn in großer Runde dann joviale Sprüche kommen, bringt man die Diskussion höflich aber bestimmt wieder auf den Inhalt zu zurück. Das Verhalten dieser Menschen steht dann für sich und spricht eine deutliche Sprache. Sich per se als Opfer zu sehen, macht handlungsunfähig - und ändert weder die Situation noch die Gesellschaft.

Ich würde mir wünschen, man würde jetzt vom Allgemeinen zum Konkreten, von Plakativen zur Lösung kommen.

Und jetzt hoffen wir mal, dass Herr Clooney die Grenzen zum sexuellen Übergriff kennt - was immer uns das bringt....